Veranstaltung: | Landesparteitag Schleswig-Holstein September 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 5 Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Ökologie (dort beschlossen am: 24.08.2023) |
Status: | Eingereicht |
Abstimmungsergebnis: | zurückgezogen |
Verfahrensvorschlag: | Weiterleiten an: |
Eingereicht: | 24.08.2023, 22:11 |
A19: Für eine zukunftsfähige nachhaltige Fischereipolitik in Schleswig-Holstein, Deutschland und der Europäischen Union – Der Schutz der Biodiversität in Nord- und Ostsee muss im Umgang mit grundberührenden Fangmethoden Priorität haben
Antragstext
Unsere Meere bedecken 70 % der Erdoberfläche, beherbergen Hochrechnungen zufolge
etwa eine Million Arten und sind zudem aufgrund ihrer Rolle im globalen
Kohlenstoffkreislauf von großer Relevanz für das Weltklima. Gesunde marine
Ökosysteme sind wichtige Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel.
Auch unsere Küstenmeere in Schleswig-Holstein, die Nord- und die Ostsee sind von
hoher Relevanz für die Biodiversität. Zur nationalen Umsetzung der FFH-
Richtlinie und der EU-Vogelschutzrichtlinie wurden deshalb in 2017 insgesamt
sechs Schutzgebiete (NSG) benannt: Borkum Riffgrund, Doggerbank, Sylter
Außenriff-Östliche Deutsche Bucht (Nordsee) und Fehmarnbelt, Kadetrinne,
Pommersche Bucht-Rönnebank (Ostsee). Bedeutende Schutzgüter in allen Natura
2000-Gebieten in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von Nord-
und Ostsee sind vor allem benthische Lebensräume und Lebensgemeinschaften, die
zudem klimarelevante Funktionen erfüllen.
In der deutschen Nord- und Ostsee kommen verschiedene Fischfangmethoden zum
Einsatz: Die häufigsten Fangmethoden sind grundberührende Schleppnetze,
pelagische Schleppnetze, Stellnetze und Ringwaden. Die mobile grundberührende
Fischerei steht dabei besonders häufig in der Kritik, da die über den
Meeresgrund geschleppten Netze diverse negative Auswirkungen auf die
Meeresumwelt haben. Die Folgen des Einsatzes grundberührender Fanggeräte hängen
unter anderem von dem Gewicht und der Anzahl der Bodenkontakte des Netzes ab.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich auf allen Ebenen für eine nachhaltige
Transformation des Fischereisektors ein. Benthische Lebensgemeinschaften und
Organismen wie Kaltwasserkorallen, Riffe, Sandbänke, Seegraswiesen und
Wattgebiete müssen wirksam vor negativen Auswirkungen durch grundberührende
Fanggeräte geschützt werden. Dazu gehören insbesondere folgende Punkte:
- Wichtige Schutzgüter und Lebensräume am Meeresboden sind besonders von den
Auswirkungen mobiler grundberührender Fischerei betroffen. Langfristig ist
die Fischerei mit Grundschleppnetzen sowohl innerhalb, als auch außerhalb
geschützter Meeresbereiche damit für uns keine Option. Deshalb muss unser
Ziel ein Ausstieg aus der grundberührenden Fischerei sein. Wir setzen uns
kurzfristig für die in Montreal vereinbarten Ziele zum Meeresschutz ein.
Diese Ziele sollen vorrangig in den Schutzgebieten unter Beteiligung der
lokalen Fischereibetriebe umgesetzt werden. Zudem setzen wir uns im Rahmen
unserer gesetzlichen Möglichkeiten dafür ein, dass es keine weiteren
Genehmigungen für neue Fischereivorhaben mit grundberührenden Fangmethoden
in EU-Gewässern geben wird.
- In den Nationalparks Wattenmeer und den NSG in der AWZ von Nord- und
Ostsee besteht immer wieder ein Interessenkonflikt zwischen lokalen
Fischereibetrieben und den Schutzzielen und Standards der geschützten
Gebiete. Um gemeinsam mit den Fischer*Innen vor Ort, beispielsweise aus
der Krabben- oder Muschelfischerei einen Weg zu finden, wie sich lokale
Fischerei umweltverträglicher gestalten lässt, schlagen wir die
Wiederaufnahme eines „Runden Tisches“ mit Expert*innen, Fischer*innen,
Wissenschaftsvertreter*innen, NGOs und Politik vor. Politische
Entscheidungen müssen sich handlungsleitend an den Realitäten von
Biodiversitätskrise und Klimakrise, als auch an der Realität der
Fischer*innen orientieren. Langfristiges gemeinsames Ziel muss jedoch
sein, ohne grundberührende Fanggeräte auszukommen, vor allem in den
Schutzgebieten.
- Fangquoten, die im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU
beschlossen werden, müssen sich vollumfänglich an wissenschaftlichen
Empfehlungen orientieren. Es braucht eine Gemeinsame Europäische
Fischereipolitik, die sich am Konzept des Maximum Sustainable Yield (MSY)
orientiert und damit zum Einen den langfristigen Schutz der Fischbestände,
aber auch eine Sicherheit für Fischereibetriebe garantiert.
- Dolly Ropes sind Kunststoffseile, die in der mobilen grundberührenden
Fischerei als Scheuerschutz für die Netze zum Einsatz kommen. Da die Dolly
Ropes sich von den Netzen nach einer Zeit ablösen und in die Umwelt
gelangen, braucht es zeitnah einen EU-weiten Ausstieg. Langfristig müssen
Netze so konstruiert sein, dass Dolly Ropes nicht mehr gebraucht werden.
Kurzfristig ist es innerhalb einer Übergangsfrist zur Erreichung des
vorherigen Zieles sinnvoll, Ansätze für Alternativen von Dolly Ropes aus
abbaubaren Materialien und innovative Netze mit leichterem Bau oder
weniger Bodenkontakten zu fördern. Der Ausstieg aus der Nutzung von Dolly
Ropes muss EU-weit geregelt werden. Fischereisubventionen sollen
ausschließlich daran gebunden werden, Fischereibetriebe bei ihrer
Transformation zu einer nachhaltigeren Arbeitsweise sowie kleine
Fischereibetriebe in ihrer Existenz zu unterstützen.
Begründung
- Unter dem Begriff mobile grundberührende Fischerei werden Fangmethoden zusammengefasst, bei denen ein Netz über den Meeresboden gezogen wird. Grundberührende Fangmethoden haben ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt: In allen sechs NSG in der AWZ von Nord- und Ostsee sowie in den drei Nationalparks Wattenmeer zählen verschiedene Lebensgemeinschaften am Meeresboden zu den in den Managementplänen (NSG) festgelegten Schutzgütern. Je nach Beschaffenheit der Netze können Ökosysteme am Meeresgrund jedoch stark beschädigt werden, dabei kann die Biodiversität und die Biomasse in den betroffenen Habitaten stark zurückgehen. Es können sich Schwebstoffwolken in der Wassersäule bilden und Sedimente umverteilt werden (1+2). Diese Schwebstoffe können Meeresorganismen ihre feinen Kiemen verstopfen oder sie bedecken. Aus dem aufgewirbelten Sediment wird auch Kohlenstoff frei, der in die Atmosphäre gelangen kann (3). Insbesondere in der Nordsee herrscht ein hoher Fischereidruck durch grundberührende Fangmethoden, wie Auswertungen zeigen (4). Vor allem benthische (auf dem Meeresboden lebende) Organismen wie Seefedern brauchen Refugien, in denen sie sich ohne grundberührende Fischerei als Störfaktor ansiedeln können. Solange noch mit grundberührender Fischerei gearbeitet wird, braucht es Schutzzonen, die frei von dieser sind. Dort können sich in den intakten Bereichen Fischbestände erholen. Bodenbewohnende Organismen wie Austern sind wichtige Ökosystembildner, die auch eine Fischvielfalt anziehen und vor den Auswirkungen von grundberührender Fischerei geschützt werden müssen (5). Das ist auch positiv für die Fischerei, denn diese Fische wandern dann auch in die Fischereizonen aus. Der Ausstieg aus der Grundschleppnetzfischerei ist auch in unserem letzten Bundestagswahlprogramm festgelegt: (S 44: Bundestagswahlprogramm 2021 (gruene.de))
- Der Nationalpark Wattenmeer und die Natura-2000 Gebiete in Nord- und Ostsee sind besonders sensibel und Refugium für wichtige Schutzgüter/Arten. Gleichzeitig gibt es eine Traditionsfischerei, die diese Gebiete als ihre Fanggebiete nutzt und sieht. Das Thema grundberührende Fischerei wurde in der Vergangenheit bereits sehr kontrovers und emotional diskutiert, auch, weil natürlich Existenzen davon betroffen sind.
- MSY ist das Konzept des größtmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (6). Dabei haben die Fischbestände ausreichend Zeit für Reproduktion und bleiben langfristig stabil. Aus Naturschutzsicht ist das notwendig, da zahlreiche Fischbestände unter Übernutzung leiden und dadurch wichtige Gefüge wie beispielsweise die Regulation einer Population über eine Räuber-Beute-Beziehung innerhalb des Ökosystems verschoben werden. Auf ein Beispiel bezogen: Wird eine Raubfischart in ihrem Bestand stark reduziert, vermehrt sich dessen natürliche Beute: Das können beispielsweise Quallen sein, Seeigel, Krebstiere oder andere Fischarten. Das hat dann wiederum weitere Folgen für das Ökosystem. Es gibt Meeresgebiete, in denen durch das Fehlen von entsprechenden Räubern ganze Kelpwälder von Seeigeln gefressen wurden (7). Das bedeutet aber auch, dass Fangquoten auf einem Niveau stabilisiert werden können und dadurch auch Planungssicherheit für die Fischereibetriebe.
- Dolly Ropes zählen zu den häufigsten Müllfunden an der Nordseeküste und sind prinzipiell einer der legalen Wege, wie Plastikmüll ins Meer gelangen kann. Und das mit Folgen: Am Helgoländer Vogelfelsen werden in einem großen Anteil der Nester Dolly Ropes gefunden. Oft verfangen sich beispielsweise Basstölpel in den Dolly Ropes und sterben (8). Die Plastikfäden und Netzteile brauchen bis zu 600 Jahre, um zu Mikro- beziehungsweise Nanoplastik zu werden (9). Über Meeresströmungen gelangt der Müll aus der Nord- und Ostsee auch in sensible arktische Gewässer. Dort, wo niemand den Müll wieder aufsammelt, gibt es Inseln, die von Müll mit Ursprung in der Nordsee „überflutet“ werden. Auch in Nord- und Ostsee verloren gegangene Dolly Ropes werden dorthin getragen. Deshalb braucht es einen Plan mit dem Ziel, gar keine Dolly Ropes mehr zu verwenden (10). Einige Fischereibetriebe verzichten bereits auf Dolly Ropes, was aus Naturschutzsicht sehr begrüßenswert ist. Für Fischereibetriebe, in denen ein Scheuerschutz übergangsweise noch nötig sein wird, braucht es Alternativen. Es gibt verschiedene Ansätze, die beispielsweise mit Alternativmaterialien oder Auftriebskörpern arbeiten, die unsere Unterstützung brauchen (11).
Referenzen:
Erster Absatz Antrag: ocean_facts_de_0806.pdf (geomar.de)
Managementpläne der Meeresschutzgebiete (NSG): Managementpläne | BFN
Gesetzliche Regelung am Beispiel des NSG „Sylter Außenriff“, siehe auch „Schutzzweck“: NSGSylV - Verordnung über die Festsetzung des Naturschutzgebietes „Sylter Außenriff – Östliche Deutsche Bucht“ 1 (gesetze-im-internet.de)
- II_5_2_19_Fischereiintensitaet_grundber_Fanggeraete_Nsee.pdf (2006)
Meeresoffensive 2020: Meeresoffensive 2020 | Weichen stellen für Mensch und Meer (wwf.de)
Dokumentation The North Drift
Unterstützer*innen
- Mathias Schmitz (KV Pinneberg)
- Christian Herzberg (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Ann-Kathrin Tranziska (KV Pinneberg)
- Marilla Meier (KV Lübeck)
- Kerstin Mock-Hofeditz (KV Nordfriesland)
- Artur Hermanni (KV Pinneberg)
- Janine Blöhdorn (KV Kiel)
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