Veranstaltung: | Landesparteitag Schleswig-Holstein September 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 5 Anträge |
Antragsteller*in: | Ocean Renner (KV Nordfriesland) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 24.08.2023, 09:16 |
A12: Verantwortungsvoller Umgang mit luftgetragenen Aroma- und Duftstoffen in Verbraucherprodukten - Forschung, Verbraucher*innenschutz, Gesundheitsschutz und Aufklärungsarbeit stärken
Antragstext
Lufterfrischer mit Aroma- und Duftstoffen erfreuen sich zunehmend großer
Beliebtheit. Inzwischen gibt es auf dem Markt eine große Palette verschiedener
Duftprodukte für Privatkund*innen und Unternehmen. Diese reicht von
handelsüblichen Raumsprays und Duftkerzen bis zu automatischen Duftsprays,
Diffusoren mit Duft sowie maschinellen Beduftungsanlagen. Einige
Beduftungsmöglichkeiten geben dauerhaft Duftstoffe an die Raumluft ab, andere
lassen sich über eine App auch von unterwegs steuern und wieder andere lassen
sich in der Häufigkeit der Duftabgabe manuell auf eine Zeitperiode einstellen.
In Geschäften, Kaufhäusern, aber auch Schulen und medizinischen Einrichtungen
werden dauerhafte Beduftungen unterhalb der Wahrnehmungsgrenze nach eigenen
Angaben zum Zwecke des Duftmarketings oder der Steigerung des Wohlbefindens
eingesetzt. Doch auch in privaten Haushalten kommen so genannte Lufterfrischer
immer häufiger zum Einsatz. Dies ist insbesondere problematisch für vulnerable
Gruppen wie Babys, Kinder, Senior*innen, Schwangere, Menschen mit chronischen
(Lungen-)erkrankungen, duftstoffsensible Personen, Allergiker*innen und
Asthmatiker*innen und damit auch eine Frage der gesellschaftlichen Teilhabe
dieser Betroffenen. Eine grundsätzliche Belastung der Gesundheit sind
Beduftungen unterhalb der Wahrnehmungsgrenze im öffentlichen Raum, aber
insbesondere auch Beduftungen in starker Intensität im Privatgebrauch, für alle
Menschen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich auf allen Ebenen und unter Beachtung
rechtlicher Rahmenbedingungen insbesondere für folgende Punkte aus den Bereichen
Forschung, Verbraucher*innenschutz, Gesundheitsschutz und Aufklärungsarbeit ein:
- Forschung und interdisziplinäre Netzwerkarbeit:
Grundlage für faktenbasiertes politisches Handeln sind wissenschaftliche
Untersuchungen, aus deren Resultat sich konkrete Handlungsentscheidungen
ableiten. Dies gilt insbesondere auch für die Bereiche Verbraucher*innenschutz
und Gesundheit. Wir GRÜNE setzen uns auf Bundes- und europäischer Ebene dafür
ein, wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Untersuchung von gesundheitlichen
und umweltspezifischen Auswirkungen luftgetragener Duftstoffe zu fördern. Der
Bereich Umweltmedizin, der sich mit umweltspezifischen Erkrankungen beschäftigt,
muss in diesem Bereich fachlich gestärkt werden. Für Menschen mit
umweltspezifischen Erkrankungen wie einer Duftstoffunverträglichkeit muss auch
in Wohnortnähe eine umfassende medizinische Behandlung und Diagnostik möglich
sein.
Zudem können Arbeitsgruppen mit Akteur*innen und Sachverständigen aus dem
Gesundheitswesen (z. B. Krankenkassen, Vereine, medizinische Einrichtungen), der
Wissenschaft, der Öffentlichkeit und des Rechtswesens ein hilfreiches Medium
sein, um allgemeine Lösungsansätze zu erarbeiten. Dabei ist es wichtig, alle
möglichen Auswirkungen auf Ökosysteme, Umwelt und Gesundheit bei einer
Entscheidungsfindung zu beachten.
- Verbraucher*innenschutz:
Die Inhaltsstoffe privat genutzter Duftprodukte wie Raumsprays sollten im Sinne
des Verbraucherschutzes verpflichtend und vollständig für alle Verbraucher*innen
ersichtlich sein. Aktuell ist dies für die Hersteller zum Teil ausschließlich
auf freiwilliger Basis. Die Zusatzstoffe sowie die im Produkt verwendeten
Duftstoffe sollten auch hier vollständig auf der Produktverpackung als
Inhaltsstoffe einzusehen sein. Wir GRÜNE werden uns hier in der Bundesregierung
und in der EU für eine verbindliche Regelung einsetzen. Dafür braucht es
möglicherweise auch einen eigenen gesetzlichen Rahmen für diese Produktgruppe,
der nach dem Vorbild der EU-Kosmetikrichtlinie und der EU-Detergenzienverordnung
geschaffen wird.
- Gesundheitsschutz:
Uns GRÜNEN sind der Schutz der Gesundheit sowie die gleichberechtigte Teilhabe
aller Menschen am öffentlichen Leben ein besonderes Anliegen.
Wir GRÜNE arbeiten darauf hin, dass bundesweit in öffentlichen Einrichtungen wie
Schulen, KiTas, Behörden, ÖPNV und medizinischen Einrichtungen zukünftig keine
Beduftungen stattfinden. Vorbild für eine gesetzliche Regelung der Beduftungen
kann das Nichtraucherschutzgesetz sein, welches das Rauchen in öffentlichen
Räumen regelt. Doch nicht nur für Beduftungen in öffentlichen Gebäuden und
Verkehrsmitteln braucht es eine verbindliche Regelung, auch für Beduftungen in
Geschäften, Kaufhäusern und anderen privaten Einrichtungen. Hier ist es als
Mindeststandard sinnvoll, wenn die Beduftung am Eingang des Gebäudes
verpflichtend ausgewiesen werden muss.
Für Beduftungen in privaten Wohnhäusern mit mehreren Mietparteien braucht es
eine verbindliche Regelung. Insbesondere bei einer übermäßigen oder
unsachgemäßen Beduftung ist es wichtig, dass Vermieter*innen, Eigentümer*innen
und betroffene Mieter*innen eine Rechtsgrundlage vorfinden, die den
Gesundheitsschutz von duftstoffempfindlichen und vulnerablen Menschen in ihren
Wohnräumen priorisiert. Zu dessen Erarbeitung empfehlen wir ein
Expert*innengremium mit Sachverständigen unter anderem aus dem juristischen und
medizinischen Bereich sowie Bürger*innen (Betroffene).
- Aufklärungsarbeit:
Wir GRÜNE setzen uns für die Aufklärung von Bürger*innen, Unternehmen und
Eigentümer*innen privater Gebäude ein: Dazu ist eine staatliche
Aufklärungskampagne ein sinnvolles Medium, welches viele Akteur*innen erreicht.
Anhand einer Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gesundheitlichen und
umweltspezifischen Auswirkungen von Duftstoffen in Bedarfsgegenständen können
Unternehmen und Verbraucher*innen dann eigenständige Entscheidungen treffen.
Transparenz und Wissensvermittlung sind hier handlungsleitend.
Begründung
Sogenannte Lufterfrischer und andere Duftgeräte werden immer beliebter. Das lässt sich auch anhand von Gebrauchsstatistiken sowie an der inzwischen sehr großen Produktvielfalt festhalten. Beispielsweise nahm der Anteil an Menschen, die angegeben haben, nie Raumerfrischer zu verwenden oder zu kaufen, zwischen 2008 und 2017-2021 ab (1). Gleichzeitig macht die Duftstoffindustrie nach eigenen Angaben des Verbands der deutschen Riechstoffhersteller jährlich einen Umsatz von 11,6 Mrd. Euro (global) beziehungsweise 500 Mio. Euro (deutschlandweit) und verzeichnet ein deutschlandweites Wachstum von jährlich +2,5% (2).
Nach Angaben des internationalen Verbandes der Duftstoffindustrie kommen global 3619 verschiedene Duftstoffe zum Einsatz, die der Verband in einer Transparency List veröffentlicht hat (3). In der EU müssen jedoch ausschließlich bei der Anwendung in Kosmetika und Waschmitteln 26 Duftstoffe mit besonders allergener Wirkung gekennzeichnet werden (4).
Es gibt Duftprodukte für den privaten Gebrauch in der eigenen Wohnung, aber auch Produkte für Unternehmen (beispielsweise im Einzelhandel) für die Beduftung von Verkaufsflächen zu Marketingzwecken. Auch in einigen öffentlichen Gebäuden wie Kliniken und Schulen oder dem ÖPNV wird beduftet. In letzteren beiden Fällen wird in der Regel unterhalb der Wahrnehmungsgrenze beduftet, während der Geruch von Lufterfrischern für den privaten Gebrauch deutlich wahrnehmbar ist. Das ist eine gesundheitliche Belastung, insbesondere für Menschen mit Asthma, hyperreagiblem Bronchialsystem, Duftstoffunverträglichkeit, anderen Vorerkrankungen, für Babys, Kinder und Senior*innen (5).
Auch der DAAB (Deutscher Allergie- und Asthmabund) warnt vor den Auswirkungen der Beduftung in Innenräumen auf duftstoffsensible Menschen und Asthmatiker*innen und fordert unter anderem die Unterlassung von Beduftungen in medizinischen Einrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Schulen, Kindertagesstätten und Behörden, was ich selbst auch für sinnvoll erachte (6). Ein selbst erklärtes Ziel unserer Partei ist es, Barrieren in allen Bereichen des Zusammenlebens abzubauen und eine gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen zu fördern (Grundsatzprogramm S. 15, 27, 61). Dazu gehört die vollständige Teilhabe an Mobilität, Bildung, Wohnen, Gesundheitsversorgung und Informationen und damit auch die Möglichkeit des Zugangs zu den betreffenden öffentlichen Gebäuden. Damit können Regulierungen und Einschränkungen bei der Beduftung von Räumen begründet werden, denn im Falle einer Beduftung eines öffentlichen Raumes besteht beispielsweise für duftstoffsensible Menschen und Asthmatiker*innen keine gleichberechtigte Teilhabe. Nach § 32 LFGB besteht für das zuständige Ministerium unter Bedingungen die Möglichkeit, bestimmte Stoffe bei der Herstellung von Bedarfsgegenständen zu untersagen beziehungsweise verpflichtende Warnhinweise vorzuschreiben (7). Alle Arten der Beduftung in Räumen, in denen sich Menschen aufhalten, fallen nach § 2 LFGB unter die gesetzlichen Vorschriften für Bedarfsgegenstände, da sie die in die Luft abgegebenen Stoffe unter anderem mit dem menschlichen Körper interagieren und sich auf diesen auswirken (8). Bereits 2008 hat das Bundesinstitut für Risikobewertung festgestellt, dass der Forschungsbedarf zur allergieauslösenden Wirkung von luftgetragenen Duftstoffen hoch ist (9). Expert*innen forderten übrigens schon damals zumindest eine Kennzeichnungspflicht von Beduftung im öffentlichen Raum und in Geschäften.
In der Praxis erfahren Verbraucher*innen bei Beduftung in öffentlichen Gebäuden und Geschäften weder die auf der Verpackung vorgeschriebenen Warnhinweise, noch, dass überhaupt eine Beduftung stattfindet. Inhaltsstoffe müssen die Hersteller von Raumsprays, Diffusoren und ähnlichen Produkten bisher fast gar nicht angeben, einige Unternehmen tun dies auf freiwilliger Basis. Nach den Grundsätzen des Verbraucherschutzes wäre es aber sinnvoll, wenn Verbraucher*innen die Inhaltsstoffe eines Produktes erfahren, das sie über die Raumluft einatmen.
In Kosmetikprodukten, Wasch- und Reinigungsmitteln müssen aktuell 26 besonders allergieauslösende Duftstoffe gekennzeichnet werden. Das dient der Information von Duftstoff-Kontaktallergiker*innen. Bei einer Reaktion auf luftgetragene Duftstoffe über die Atemwege ist es aber unwahrscheinlich, dass eine Duftstoffallergie vorliegt. Meistens handelt es sich dann um eine Duftstoffunverträglichkeit, bei der im Körper andere Prozesse ablaufen als bei einer Kontaktallergie gegen Duftstoffe (10). Dies muss bei einer Kennzeichnung von „Raumerfrischern“ beachtet werden und weiter wissenschaftlich untersucht werden.
In Mehrfamilienhäusern resultiert aus dieser hohen Beliebtheit von Raumsprays, Diffusoren etc. im privaten Gebrauch noch ein weiterer Konflikt: Beduftet eine Mietpartei in einer übermäßigen Intensität ihre Wohnung, beispielsweise mithilfe eines automatischen Duftsprays, ist es wahrscheinlich, dass duftstoffangereicherte Luft auch in den Innenräumen der benachbarten Wohnungen ankommt. Die Duftstoffe bleiben nicht nur in der Wohnung, in der sie ausgebracht wurden, sie diffundieren durch undichte Stellen und über die Leitungssysteme auch in benachbarte Wohnungen. Für empfindliche Personen kann dies bedeuten, dass sie den betreffenden Stoffen nicht ausweichen können und entsprechend gesundheitlich reagieren. Die Hersteller von Lufterfrischern selbst geben in ihren Sicherheitsdatenblättern meistens an, dass Personen, die auf die Duftstoffe gesundheitlich reagieren, den Gebrauch des Produktes sofort unterlassen sollen (11). Das ist allerdings nicht möglich, wenn die betroffene Person in einer Wohnung wohnt, die mit Duftstoffen aus einer anderen Wohnung belastet ist, da sie den Gebrauch selbst nicht in der Hand hat. Bei Fällen dieser Art sind Mieter*innen oder Eigentümer*innen auf die Rücksichtnahme ihrer Nachbar*innen angewiesen (12). Wenn dies nicht gegeben ist, liegt die Beweispflicht bei der von den Duftstoffeinträgen betroffenen Person. Gutachten zur Messung der Raumluftqualität und zum Nachweis der Herkunft der Raumluftbelastung sind oft teuer und nur stoffspezifisch anwendbar. Deshalb braucht es eine Möglichkeit, die Vermieter*innen und von einer durch Duftstoffe bedingten Raumluftbelastung betroffenen Mieter*innen oder Eigentümer*innen ermöglicht, den übermäßigen Gebrauch von Raumerfrischern zu regeln.
Es gibt Forschungsbedarf inwiefern sich Duftstoffe auf Umwelt und Gesundheit auswirken. Einige Duftstoffe sind Untersuchungen zufolge toxisch für Wasserorganismen, schwer biologisch abbaubar oder könnten sich auch auf die Fertilität von Organismen auswirken (ab Quelle 13). Die konkreten Auswirkungen müssten jedoch für jede Duftstoffchemikalie einzeln erfasst werden und daraus Handlungsableitungen getroffen werden.
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Referenzen:
- Verwendung/Kauf von Lufterfrischern Vergleich 2008/2017-2021
- Transparency List: IFRA Transparency List (ifrafragrance.org)
EU-Detergenzienverordnung: 30800 1..1 (europa.eu)
- Auskunft über die Vielfalt des Marktes gerne bei mir
- Beispiel Sicherheitsdatenblatt: 1877995.pdf (otto-office.com)
Unterstützer*innen
- Stephan Wiese (KV Lübeck)
- Susanne Hilbrecht (KV Dithmarschen)
- Tarik Pahlenkemper (LV Grüne Jugend Schleswig-Holstein)
- Mathias Schmitz (KV Pinneberg)
- Ute Wörner (KV Plön)
- Sina Clorius (KV Schleswig-Flensburg)
- Gerd Weichelt (KV Dithmarschen)
- Geoffrey N. Förste (KV Nordfriesland)
- Kerstin Mock-Hofeditz (KV Nordfriesland)
- Esther Drewsen (KV Nordfriesland)
- Anja Koberg (KV Nordfriesland)
- Malou Corinth (KV Nordfriesland)
- Fabian Osbahr (KV Segeberg)
- Artur Hermanni (KV Pinneberg)
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